Unter Läuferinnen und Läufern wird kaum ein Thema kontroverser diskutiert als das Dehnen: Ist Dehnen überhaupt sinnvoll? Und wenn ja, wann? Vor oder nach dem Laufen? Oder sogar zwischendurch? Unmittelbar danach - oder nach einer Pause. Oder gar als eigene Dehn-Einheit?
Eine für alle gleiche Antwort gibt es nicht. Auch die Wissenschaft tut sich schwer: Studien, die belegen, dass wir Stretching brauchen, dass Dehnen die Leistungsfähigkeit erhöht oder Verletzungen vorbeugt, gibt es nicht. Dennoch gehört das Dehnen fast immer zum Lauftraining. Mit korrekt ausgeführtem Dehnen macht man kaum etwas falsch.
Und Dehnen tut einfach gut, weil immer gleiche, monotone Bewegungsabläufe oft zu Muskelverspannungen oder zu Muskelverkürzungen führen. Das fühlt sich dann so an, als ob irgendwas klemmt. „Muskuläre Dysbalancen“ heißt das bei Physiotherapeuten, Ärzten und Trainern. Laufen ist so ein immer gleicher Bewegungsablauf: Es trainiert die Skelettmuskulatur
einseitig.
Und dem kann man mit Dehnen entgegenwirken. Im Alltag und im Sport: So wie man am Schreibtisch dann Nacken oder Schultern streckt, dehnen sich Läuferinnen und Läufer. Machen ja auch Katzen und Hunden nach dem Aufstehen. Muskeln, Sehnen und Gelenke fühlen sich nach einer guten Stretching-Einheit besser an. Geschmeidiger, beweglicher und belastbarer.
Doch die potenziell positiven Wirkungen des Dehnens treten längst nicht bei allen und in allen Situationen ein. Es lassen sich daraus keine allgemeingültigen Regeln ableiten, wer wann wo und wie, wie oft und wie intensiv dehnen soll. Aber eins ist klar: Vermeiden solltest du ruckartiges, reißendes Dehnen – oder zu lange, zu tief in der Dehnung zu verharren. Denn damit kann man sich sogar beim Dehnen verletzen.
Die Grundregel lautet: Ein dosierbares Ziehen zu spüren, ist gut - aber echten Schmerz, egal ob Stechen oder Brennen, gilt es zu vermeiden. Optimal ist es, wenn du dehnst, bis du ein leichtes Ziehen im Muskel spürst. Dann hältst du die Position für 30 bis 45 Sekunden. Der Fachbegriff dafür ist „statisches Dehnen“.-Nach einer kurzen Entspannung dehnst du den Muskel etwas intensiver als beim ersten Mal und hältst diese Position noch einmal 30 bis 45 Sekunden. Diese Methode ist vor allem nach dem Laufen sinnvoll, um die Muskulatur zu entspannen und auf die bevorstehende Regeneration einzustimmen.
Vor dem Laufen dient das Dehnen der Einstimmung auf die intensive, langanhaltende Bewegung. Dabei empfiehlt es sich, die Dehnübungen maximal 15 Sekunden lang halten und nur einmal zu absolvieren. Vor dem Laufen ist oft auch das dynamische Dehnen die bessere Wahl als die bislang beschriebene statische Variante mit dem typischen Halten der Dehnposition. Der Grund dafür ist simpel: Dehnen nimmt Spannung aus der Muskulatur. Nach dem Laufen ist diese Verringerung des „Muskeltonus“ genau das, was wir erreichen wollen.
Beim dynamischen Dehnen bringst du deinen Muskel zunächst ebenfalls in eine Dehnposition. Doch anstatt die Position zu halten, federst du sanft immer tiefer in die Dehnung hinein. Aber Vorsicht: Bei dieser Dehnvariante läufst du Gefahr, die Übung nicht korrekt auszuführen. Der Muskel könnte überstreckt, eventuell sogar gezerrt werden. Wenn du neu beim Dehnen bist, solltest du deshalb mit statischem Dehnen anfangen - mit mehr Erfahrung ist dann der Wechsel zum dynamischen Dehnen kein Problem.
Es gibt aber auch Läuferinnen und Läufer, die komplett aufs Stretching verzichten sollten: Das gilt für alle, deren Bewegungsapparat das Prädikat „hypermobil“, also überbeweglich, trägt. In diesem Fall verringert das Dehnen die ohnehin suboptimale Stabilität weiter - und sie werde für Verletzungen anfälliger.
Die wichtigsten Dehnübungen für Läufer:innen
Wadenmuskulatur dehnen
Deine Waden wollen besonders gepflegt werden, deshalb gehören diese Übungen ins Repertoire jedes Läufers und jeder Läuferin. Im kurzen Ausfallschritt stützt du die Hände in die Hüften, dann verlagerst du das Gewicht auf das hintere Bein und beugst das Knie. Du spürst den Zug und dehnst die Achillessehne und die untere Wadenmuskulatur.
Um die obere Wade zu dehnen, vergrößerst du den Ausfallschritt. Stütze dich mit den Händen an einem Geländer, einem Baum oder einer Wand ab. Strecke das hintere Bein, und drücke die Ferse auf den Boden. Dein Ihr Gewicht ruht auf den Armen und dem hinteren Bein.
Oberschenkelvorderseite dehnen
Die Muskeln an der Vorderseite des Oberschenkels strecken das Bein und bremsen beim Bergablaufen jeden Schritt ab. Du dehnst diesen Bereich, indem du dich sich aufrecht hinstellst und mit der rechten Hand den rechten Fuß an der Fessel oder am Fußrücken fasst. Wenn es dir schwerfällt, die Balance zu halten, kannst du dich an einem Baum, einem
Geländer oder einem Laufpartner abstützen. Ziehe jetzt den Fuß in Richtung Gesäß.
Wichtig: Bleib dabei aufrecht stehen, die Hüfte ist gestreckt, die Knie bleiben zusammen. Auch ein Hohlkreuz solltest Du vermeiden.
Oberschenkelrückseite dehnen
Lege deinen Fuß auf einen Stuhl, eine Bank oder eine ähnlich hohe Stufe. Strecke das Bein und beuge dich mit geradem Rücken so weit vor, bis du ein Ziehen in den Muskeln an der Rückseite des Oberschenkels spürst.
Den Po dehnen
Deine Gesäßmuskulatur wird besonders beim Bergauflaufen stark beansprucht. Nach Läufen in den Hügeln oder Bergen tut dieses Stretching besonders gut: Setz dich auf den Boden, das linke Bein ist gestreckt, das rechte wird so darüber geschlagen, dass der Fuß etwa auf Höhe des Knies steht.
Mit dem linken Arm umschließt du das linke Knie, die Hand ruht auf dem Oberschenkel. Drehe den Oberkörper leicht nach rechts und stütz dich mit dem rechten Arm nach hinten ab. Zieh das Knie an deine Brust, bis du die Dehnung auf der rechten Poseite spürst. Dann wechselst
du die Position spiegelbildlich und dehnst die linke Poseite.
Die Hüftbeugemuskeln dehnen
Die Muskeln, die bei jedem Schritt deine Knie heben müssen, neigen zu Verkürzungen. Deshalb solltest du sie nach jedem Lauf in die Länge ziehen. Gehe in den Ausfallschritt, der vordere Fuß steht mit der kompletten Sohle auf dem Boden, das hintere Bein hat mit
Fußspitze und Knie Bodenkontakt.
Denke daran, deinen Oberkörper aufrecht zu halten. Verlagere dein Körpergewicht nach vorn aufs Knie, bis du die Dehnung in der Hüfte spürst. Wenn es unangenehm ist, in dieser Position auf dem Boden zu knien, kannst du die Übung auch durchführen, indem das Knie in der Luft ist und dein Körpergewicht vom vorderen Bein getragen wird. Dann wechselst du das Bein.
Die Adduktoren dehnen
Die Muskeln an der Innenseite der Oberschenkel lassen sich im seitlichen Ausfallschritt stretchen. Stell dich mit gegrätschten Beinen hin, die Füße etwas mehr als doppelt schulterbreit auseinander. Jetzt beug das linke Bein, schieb das Knie über die Fußspitze und
verlagere dein Gewicht auf das linke Bein.
Das andere Bein bleibt gestreckt, und du spürst die Dehnung in den Adduktoren. Gönn dir dieses Gefühl lange genug, bevor du das Bein wechselst.